Meinen ersten Bildhauerkurs habe ich im September 2003 in Italien, im Campo dell' Altissimo gemacht. Das Campo liegt in den Apuanischen Alpen, südlich von Carrara in dem kleinen Dorf Azzano. (Genauere Informationen zu Lage, Ambiente und den angebotenen Kursen findet man auf der Seite www.campo-altissimo.de )
Wie ich auf die Idee gekommen bin? Zuvor hatte ich im Internet nach Angeboten für Kreativurlaub gesucht und eine riesige Auswahl gefunden. Die Steinbildhauerkurse sind mir besonders aufgefallen, weil das für mich komplett neues Terrain war und es mich daher besonders gereizt hat. Habe spontan einen Kurs gebucht, ohne eine klare Vorstellung, was mich dabei erwartet.
Der erste Kurstag begann mit Steinesuchen. Die Apuanischen Alpen bestehen komplett aus Marmor, der Abraum der umliegenden Steinbrüche wandert im Bett des Serra-Flusses ins Tal und kann dort aufgesammelt werden. Vom Fluss selbst war übrigens kein Tropfen zu sehen - komplett ausgetrocknet! Aber Steine gab es genug.
Leider ist es auch bei diesem Überangebot garnicht so einfach ein schönes Stück zu finden. Denn die Steine sind ja an der Oberfläche abgestossen, verkratzt und schmutzig. Als Laie kann man schlecht erkennen, ob sich unter dieser stumpfen Kalkschale ein gleichmäßiger, feinkristalliner Marmor oder nur bröseliges, rissiges Material verbirgt. Aber dafür hatten wir ja den Experten, unseren Kursleiter Sven Rünger, dabei!
Natürlich waren die Steine, die ich mir am Anfang schnell und selbstsicher ausgesucht hatte, alle völlig ungeeignet. (Alles andere wäre ja auch zu einfach gewesen ;-)) So wurde es immer später, nach und nach verschwanden alle anderen mit ihren Schätzen wieder Richtung Campo und ich hatte nach mehreren Stunden in diesem Flusstal auch keine Lust mehr auf diese Sucherei! Es war heiss und anstrengend - ich hätte am liebsten einfach irgendeinen Stein genommen und fertig! Zum Glück kam es aber nicht dazu, mit Unterstützung von Ina, (einer weiteren, sehr hilfsbereiten Kursteilnehmerin) und Sven habe ich dann doch noch einen schönes Stück gefunden, allerdings einen ziemlich grossen Brocken, der natürlich auch noch schön weit vom Parkplatz entfernt lag. An der Oberfläche war auch noch der Beginn eines Risses zu erkennen, aber ich entschied einfach mal mutig, das Risiko einzugehen und ihn trotzdem mitzunehmen - meistens gehen diese Risse ja nicht durch, sondern nur ein paar cm tief rein. (Wenn man kleine Lust mehr hat, zu suchen, wird man optimistisch ;-)) Wir haben das gute Stück also zu dritt in einem Tragegestell zum Auto geschleppt. Äusserlich habe ich geschwitzt, innerlich sogar wüst geflucht - aber egal, selber schuld, ich hätte ja auch einen Zeichenkurs buchen können!
Nachdem wir unsere Arbeitsplätze am Campo aufgebaut hatten, bekamen wir eine Einweisung zum Umgang mit dem Werkzeug - Spitzeisen, Hammer und Schutzbrille! (Ja, die sieht doof aus - aber die abspringenden Splitter sind schnell und scharfkantig, also ist es ohne einfach zu gefährlich) Zuerst durften wir unsere Steine abschälen - d.h.die graue Plaqueschicht entfernen.
Das sollte mit möglichst gleichmäßigen Schlägen erfolgen, die Oberfläche sollte hinterher eine regelmäßige Struktur haben und dadurch möglichst wenig von der eigentlichen Form ablenken. Gleichzeitig war es eine gute Übung, um erstmal eine Gefühl für das Werkzeug zu entwickeln und einen eigenen Rhythmus zu finden.
Am zweiten Kurstag beendete ich die Schälerei, danach ging es auf die Suche nach der richtigen Form. Ich hatte vorher keine Vorstellung und kein Modell, sondern habe nur geschaut, was der Stein hergibt. Diese Formfindung war für mich, im Nachhinein betrachtet, das Schwierigste in dem ganzen Prozess. Aber der Reihe nach...
Nachdem die weisse, glitzernde Marmoroberfläche freilag, konnte ich den oben erwähnten Riss weiterverfolgen - er zog sich einige cm tief in den Stein hinein, ging aber zum Glück nicht ganz durch. Ich habe von einer Seite aus alles weggehauen, was über dem Riss lag - und zwar so weit, bis ich das Ende gefunden hatte, Das lag ungefähr in der Mitte, so dass jetzt eine Hälfte abgeflacht war und die andere einen 'Bauch' hatte.
Ab hier wurde es kompliziert! Da ich nicht genau wusste, was ich aus dem Stein machen wollte, habe ich in den nächsten Tagen nach und nach einige Buckel weggehauen, ein paar kleinere, oberflächliche Risse freigelegt und einige unschöne Ecken abgerundet. An einem Ende hatte der Stein Höcker, die ich irgendwie ganz witzig fand und ein bisschen verstärkt habe. Ich konnte mir aber noch keine richtige Form vorstellen, dadurch wusste ich auch nicht, in welcher Position der Stein später mal stehen oder liegen sollte. Am besten gefiel mir eine aufrechte, stehende Position, aber ich habe das Stück immer wieder gewendet und von allen Seiten begutachtet. Aber egal wie ich auch schaute - es erinnerte mich einfach nur an einen verwachsenen Yeti-Fuß!
Dabei sollte es natürlich nicht bleiben! Eine andere konkrete Form konnte ich zwar nicht vor meinem inneren Auge sehen, aber ich wusste, dass der Stein irgendwie rundlich werden sollte. Daher habe ich ihn gleichmäßig von allen Seiten immer weiter behauen und abgerundet. Das klingt simpler als es ist, denn immer wenn man einen Buckel angeglichen hat, sieht man irgendwo anders einen neuen. Und die spätere Form und Oberfläche wird nicht durch die hochragenden, auffälligen Hügel definiert, sondern die tiefen Punkte dazwischen, die das Spitzeisen hinterlassen hat. Mein Stein wurde jeden Tag rundlicher und (in meinen Augen) schöner - aber die Fuß-Assoziation blieb. Irgendwann hatte ich dann plötzlich doch noch eine Eingebung: Der mittlere "Zeh" musste weg!
Das hatte es gebracht - keinerlei Erinnerung mehr an einen Fuß. Ein konkretes Ziel hatte ich anschliessend immer noch nicht vor Augen, deshalb habe ich einen Abend damit verbracht, einige kleine Tonmodelle anzufertigen:
Von denen hat mich keines wirklich überzeugt, aber immerhin wusste ich jetzt schon, welche Möglichkeiten ich hatte, und welche ich davon klar ausschliessen wollte. Ich habe meinen Stein daraufhin gleichmäßig von allen Seiten weiterbearbeitet, ohne mich zu sehr auf eine konkrete Form festzulegen. (Dieses Fehlen eines konkreten Ziels kann sehr zermürbend sein - gerade wenn man ansonsten eher ungeduldig und zielstrebig ist. Ich kam dabei ziemlich ins Grübeln, über das Leben im Allgemeinen und Besonderen. Und habe wirklich einige wichtige Entschlüsse gefasst, die ich inzwischen umsetzen konnte. Damals wusste ich das aber noch nicht und habe stimmungsmäßig einen ziemlichen Tiefpunkt durchlitten - aber anscheinend braucht man sowas manchmal, um sich zu verändern.)
Es ging also weiter mit abrunden und schauen, abrunden und schauen... so ein Kurs ist echt gut zum Trainieren der Beobachtungsgabe - und das 'gut' meine ich wirklich nicht ironisch!
Inzwischen hatte ich gemerkt, dass der Stein, trotz der buckeligen Oberfläche, in liegender Position hin-und-herschaukeln konnte. Die Gewichtsverteilung zwischen der zentralen Kugel auf der einen und den beiden auseinanderstrebenden Enden auf der anderen Seite war also schon gut ausgewogen. Das gab für mich den Ausschlag zur nächsten Erkenntnis: Der Stein sollte später nicht aufrecht stehen, sondern liegen.
Am Ende des Kurses hatte ich eine schöne, rundliche, abstrakte Form von der ich nur wusste: Damit bin ich noch lange nicht fertig.
(Dieses Foto zeigt nicht mich, sondern Sven Rünger beim Bearbeiten meines Steins.)
Netterweise hat Sven mir angeboten, dass ich in seinem Atelier weiter an dem Stück arbeiten könne. Er hat sein Atelier in der Nähe von Düsseldorf, dort habe ich dann noch einige (viele) Wochenenden verbracht!
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