Erster Arbeitstag bei der Marburger Sommerakademie. Wir vom Steinbildhauerkurs besuchen den nahegelegenen Steinbruch. Da ich noch keine Vorstellung habe, was ich machen will, suche ich mir einen Stein aus, der einigermassen groß ist und der irgendwie interessant und vielseitig auf mich wirkt. Mal sehen, was draus wird. Die Steine werden uns glücklicherweise auf das Gelände der Sommerakademie angeliefert. Wir brauchen also "nur" unsere Arbeitsplätze aufzubauen. Danach verbringe ich meine Zeit mit dem Durchblättern diverser Bildbände auf der Suche nach Inspiration. Bisher warte ich aber noch auf die zündende Idee...
Meinen heutigen Vormittag verbringe mit Blick auf meinen unförmigen Steinklotz, bewaffnet mit Bleistift, Papier und Modellierwachs.
Ich zeichne oder knete wild vor mich hin, aber ich finde keine Form, die mir so richtig gut gefällt. Einige Kurskollegen sind bereits mit fertigen Modellen angereist,
können also schon am Stein loslegen und "motivieren" mich ihren Schlaggeräuschen.
Glücklicherweise weiß ich, wie schnell ich bei der Arbeit am Stein vorankomme, sobald ich ein Ziel vor Augen habe,
deshalb kann ich aufkeimende Panikattacken schnell niederkämpfen.
Nach einiger Zeit finde ich eine Form, die mich anspricht: Eine Art asymmetrischer, eckiger Ring, der oben offen ist.
Allerdings ist mein Stein dafür eigentlich zu dick. Als ich Robert Schmidt-Matt, unserem Kursleiter,
vorschlage, den Stein zu spalten, reagiert er eher zurückhaltend.
Er meint, ich sollte mir doch überlegen, wie ich das Problem anders löse, so dass ich das gesamte Volumen des Steins ausnutze.
Tja, da hab ich den Salat... War doch keine so gute Idee, einen grossen Stein auszusuchen mit dem Hintergedanken,
dass ich ja dann alles mögliche draus machen kann, wenn ich nur genug Material wegschlage.
Ich experimentiere mit einem kleinen Gipsklotz, den ich ungefähr in der Form meines Steins ausgesägt habe. Und da fällt der Groschen:
Wenn ich die Form, die mir vorschwebt, diagonal in den Stein setze, habe ich genug Platz um die oberen Enden gegeneinander zu verdrehen.
Dadurch kommt Spannung rein, so gefällt es mir besser als in der flachen Variante. Manchmal muss man ungeliebte Ratschläge anscheinend einfach mal annehmen und wirken lassen.
Mein Modell kommt auch bei Robert gut an und ich kann am Stein loslegen.
Zunächst zeichne ich mit schwarzer Farbe an, wo ich Material abtragen kann, dann gehts los.
Mit kräftigen Schlägen haue ich große Stücke ab und genieße es, die Veränderung zu sehen. Obwohl ich Hammer und Meißel seit 2 Jahren nicht mehr in der Hand hatte, finde ich schnell meinen Rhythmus.
Zugegeben, es fehlt noch an der Kondition, aber die kommt sicher auch bald wieder.
Heute bin ich der Arbeit gut voran gekommen. Man kann schon erahnen, wie die beiden oberen Enden gegeneinander versetzt im Stein liegen.
Aber obwohl ich schon einen Eimer voll Schutt produziert habe, ist der Stein immer noch ziemlich dick.
Bis zum Durchbruch in der Mitte ist es noch ein weiter Weg.
Eigentlich sagt man ja 'Eigenlob stinkt!' Aber mein Stein gefällt mir schon richtig gut,
denn man kann bereits so viel von der späteren Form erkennen.
Heute habe ich zuerst an den sich verdrehenden Seitenflächen gearbeitet.
Ich möchte, dass die später richtig straff aussehen.
Nachdem der Verlauf dieser Seitenflächen klarer zu erkennen war, habe ich mich dann der Öffnung und den umgebenden Kanten gewidmet.
Um nicht versehentlich zuviel wegzuschlagen, habe ich mir den Verlauf der Kanten mit schwarzer Farbe nochmal genau angezeichnet.
Anschliessend habe ich dann auf beiden Seiten eine Mulde in den Stein geschlagen, mit dem Flacheisen die spätere Kante vorgeformt und vorsichtig das Gestein direkt an der Kante abgetragen.
In weiterer Entfernung von den empfindlichen Kanten konnte ich dann wieder mit Spitzeisen und kräftigen Schlägen loslegen und mich immer tiefer in den Stein hineinarbeiten.
Die Aushöhlungen sahen heute Abend so tief aus, dass ich glaubte, ich sei kurz vor dem Durchbruch. Aber mit je einer Fingerspitze am tiefsten Punkt der Mulde musste ich leider erkennen:
Da sind noch ca. 8 cm Gestein zu überwinden.
(Im Hintergrund sieht man übrigens unser Kurs-Maskottchen Chayenne ;))
Juhu, ich bin durch. Ging ja schneller als erwartet. ein schönes Zwischenergebnis vor der Pause am Wochenede.
Der Durchbruch ist jetzt kein kleines Löchlein mehr, sondern nimmt Form an.
Ich habe vor, die Aussenflächen nicht zu bearbeiten, sondern den ursprünglichen Umriss des Steins zu erhalten.
Dem muss ich aber dann innen, als Kontrast, eine exakte Form entgegensetzen.
Deshalb ist es besonders wichtig, dass die Innen - und Seitenflächen ganz gerade werden, wie ein Stück Stoff, das man straff über einen Rahmen zieht.
Insofern freut es mich zwar, wenn Besucher oder Kurskollegen mir sagen, dass der Stein ja schon sehr gut und fast 'fertig' aussieht,
aber ich weiss trotzdem, dass da noch ein 'spannendes' Stück Arbeit vor mir liegt.
Der Stein ist eindeutig zu schwer! Ich kann ihn nicht alleine hochheben, geschweige denn tragen.
Ausserdem ist er ungleichmäßig dick. An der breitesten Stelle (Grundfläche unten) hat er 23 cm, an der schmalsten Stelle hat er nur 15cm.
Daher ziehe ich mit dem Zollstock rundherum an den Kanten grade, parallele Linien im Abstand von 15cm.
Auf dieser Linie setze ich das Flacheisen an, mit Schlagrichtung leicht schräg nach aussen und hau drauf.
Und der Stein bricht genau so ab, wie ich es mir vorstelle - in graden, großen Schuppen. Kleiner Aufwand, große Wirkung - das macht Spaß!
Anschliessend ein kleiner Test: Jetzt kann ich den Stein mit Mühen alleine anheben, allerdings nur sehr kurz.
Aber beim Anpassen der Seitenflächen geht noch viel ab. Und der Form tut es gut, sie wirkt gleich viel klarer.
Obwohl ich durch heftige Gewitterschauer heute nur kurz am Stein arbeiten konnte, bin ich mit dem Tagesergebnis sehr zufrieden!
Tja, die Phase der deutlichen Veränderungen ist wohl vorbei. Es gibt keine großen Brocken mehr abzuschlagen, ab jetzt erzeuge ich vor allem Staub.
Ich bearbeite den Stein auf beiden Seiten mit einem Flacheisen, und versuche möglichst gerade, straff aussehende Flächen zu erzeugen.
Zunächst mache ich das rein nach Augenmaß, später lege ich ein gerade geschnittenes Holzstück auf die Fläche auf. Durch den Kontrast
sehe ich dann auf einer vermeintlich geraden Fläche doch noch einige Wellen und Buckel.
Ausserdem zeichne ich schonmal an, wie die Negativform innen aussehen soll.
Der Stein soll hinterher nämlich um diese Form herum kontinuierlich dicker werden, das muss ich genau abmessen und anzeichnen.
Als Markierung mit schwarzer Farbe sieht sie sehr exakt und gut aus - jetzt muss ich diese Kanten "nur" noch genauso exakt in den Stein hauen.
Kleiner Schock am Morgen - das macht wach! Ich lege mir dem Stein wieder mal schräg hin, um an den Seitenflächen weiter zu arbeiten.
Diesmal ist der Druck auf die Kante wohl doch zu hoch und es bricht ein Stück raus.
Glücklicherweise geht es nicht allzu tief, so dass ich es leicht wieder ausgleichen kann. Aber damit mir sowas nicht noch mal passiert, wird der Stein ab jetzt auf einem Sandsack gelegt.
Nachdem beide Seitenflächen halbwegs gerade sind, fällt mir auf, dass der eine Teil (der höhere) insgesamt zu weit nach links hängt.
Das sieht nicht nach einer straffen Drehung aus, sondern wirkt eher wie eine erschöpfte Schräglage.
Ich hadere kurz mit mir, ob mich das wirklich stört und beschliesse dann, es zu begradigen.
Tja, das heisst: Wieder eine gerade Linie am Rand ziehen, wieder vom Rand aus eine dickere Steinschicht abschlagen,
und anschließend wieder über die beiden Seitenflächen gehen und alles begradigen.
Aber egal, ich hab ja schon Routine. Und ich bin auch sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Wäre blöd gewesen mir diese doppelte Arbeit zu sparen, nur um schneller fertig zu werden.
So wie ich mich kenne, hätte ich später dann doch bei jedem Blick auf die Skulptur gedacht "Ach hättest Du doch..."
Ich erzeuge weiterhin Staub an den Seitenflächen. Heute kommt ein neues Werkzeug ins Spiel, ein Chariereisen. Damit kann man die Fläche so richtig gerade machen - ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden.
Heute war bei der Sommerakademie "Tag der offenen Tür" und ich wurde von einigen Besuchern gefragt, warum ich oben eine Verbindung zwischen den beiden Enden stehen lasse. Im Moment soll sie den Stein noch stabilisieren, denn wenn die beiden Enden frei stehen, könnte der Stein durch die Erschütterungen beim Behauen auseinanderbrechen. Aber wenn ich mit allem anderen fertig bin, werde ich diesen Steg dann vorsichtig entfernen, ich freue mich schon auf diesen Moment.
Es nimmt einfach kein Ende! Die Seitenflächen sehen zwar zunehmend glatter aus, aber beim drüberstreichen fühle ich doch noch Wellen. Meine Handinnenflächen sind heute richtig zart geworden vom vielen Sandstein-streicheln. Scheinbar wird wird mein Tastsinn auch immer kritischer und genauer, denn je glatter die Fläche wird, umso mehr störe ich mich an den noch vorhandenen Beulen. Leider habe ich nicht mehr allzu viel Zeit, sonst würde ich wohl noch tagelang mit dem Chariereisen diese Flächen überarbeiten.
Stattdessen habe ich abends noch an den Innenflächen gearbeitet. Und dabei ist - leider - etwas ungeplantes passiert: Der stabilisierende Steg ist gerissen! Immerhin konnte ich den dann gleich komplett entfernen, jetzt sieht man auf meinem heutigen Tagesergebnis-Foto sogar noch eine richtig deutliche Veränderung. Hoffentlich muss ich in den letzten Arbeitstagen nicht noch weitere drastische Veränderungen berichten - ich habe keine Lust auf einen komplett durchgebrochenen Stein!
Zunächst bearbeite ich die Innenflächen mit einem Flachmeißel, so gut es geht. Um ganz sicher zu gehen, dass mir mein Stein nicht bricht, lege ich ihn immer auf die Aussenfläche, gegen die ich von innen schlage. (Natürlich mit Sandsack drunter). Es funktioniert, nichts bricht, alles ist schön!
Danach kommt dann der lästige Teil: Ich kann die Innenflächen nicht mit dem Chariereisen glätten, weil ich damit nicht überall hinkomme. Das bedeutet, ich muss zum Schluss leider doch noch die anstrengende, ungeliebte Fleißarbeit auf mich nehmen und schleifen. Mit einem großen Korund - Schleifstein bearbeite ich die Innenflächen. Leider bin ich anfangs an manchen Stellen ziemlich tief mit dem Meißel in die Innenflächen rein - diese Löcher fallen jetzt in den glatt geschliffenen Flächen besonders auf. Meine Hände tun weh, die Handschuhe sind durchgewetzt und der Staub fängt allmählich an zu nerven. Ich muss mal sehen wie viel Lust ich morgen noch habe. Aber wahrscheinlich schleife ich die Stellen morgen noch raus, ich kenn mich doch...
Mein Stein ist fertig! Alle Löcher und Fehlstellen sind rausgeschliffen, die äußeren Seitenflächen noch ein letztes Mal mit dem Chariereisen überarbeitet. Dann der erhebende Moment: Ich schleppe den Stein zum Gartenschlauch und schrubbe den ganzen Staub ab. Durch das Wasser wird der Stein ganz dunkel, das gefällt mir sehr gut. Dadurch fallen an manchen Stellen die Glimmer-Einschlüsse auf, sie glitzern in der Sonne.
Jetzt kann ich mich zurücklehnen, von der Anstrengung erholen und meine armen, aufgeriebenen Hände heilen lassen. Aber es hat sich gelohnt, ich bin rundum zufrieden - und freue mich schon auf ein nächstes Mal!