Bei meinem zweiten Stein war das Vorgehen anders als beim Ersten: Ich wusste von vornherein, welche Form ich machen wollte und habe dann dazu passend einen Stein besorgt. Es sollte ein Schneckenhaus werden, allerdings kein gewöhnliches. Bei den meisten Schnecken ist nämlich das Haus, wenn man die Wendel von innen nach außen verfolgt, im Uhrzeigersinn gedehnt. Nur in extrem seltenen Fällen gibt es mal eine Schnecke, deren Haus gegen den Uhrzeigersinn gedreht ist, die nennt man dann 'Schneckenkönig'. Und so ein Schneckenkönigshaus wollte ich in Stein meißeln.
Als Modelle hatte ich echte Schneckenhäuser die ich bei einem früheren Urlaub am Meer aufgesammelt hatte. Die waren natürlich alle 'richtig' gewunden - die anderen sind, wie gesagt, extrem selten und dadurch entsprechend teuer und begehrt bei Sammlern. So eines hatte ich leider nicht zur Verfügung. Stattdessen habe ich mir meine gewöhnlichen, unköniglichen Schneckenhäuser lange im Spiegel betrachtet um ein Gefühl für die Form zu entwickeln. Anschließend habe ich die spiegelbildliche Form dann mehrmals aus Ton oder Wachs nachmodelliert, um ein paar richtige (bzw. "falsche", linksrum gewundene) Vorbilder zu haben.
Dann erst ging es mit dem Stein weiter. Mein Stein war bereits rund, es war ein Bohrkern aus Belgisch Granit. Die Bezeichnung ist etwas verwirrend, denn das Material ist kein Granit sondern ein Kalkstein. Dieser hat sich ursprünglich gebildet aus den Schalen und Skeletten von kleinen Meeresorganismen. Das bedeutete also, aus den Schalen von kleinen Tierchen wurde ein Stein, aus dem ich dann wieder die Schale von einem Tier gemacht habe - ein geschlossener Kreislauf sozusagen.
Zunächst habe ich mir auf einem Blatt Papier die Wendel des Schneckenhauses aufgemalt. Dafür habe ich mich noch mal mit den theoretischen Hintergründen beschäftigt, mit Fibonacci-Zahlenreihen, dem goldenen Schnitt etc. Letztendlich habe ich aber doch nur eine graphische Vorlage, die ich bei diesen Recherchen gefunden habe, im Kopierer entsprechend vergrößert und auf meinen Stein übertragen. ;-)
Normalerweise geht man bei einer Skulptur so vor, dass man den Stein von allen Seiten gleichmäßig bearbeitet, die Form grob anlegt und sich dann immer mehr an die Details annähert. Hier habe ich das aber genau umgekehrt gemacht:
Zunächst habe ich oben an der Steinsäule einen guten Teil weggeschlagen, der sicher nicht mehr benötigt wurde. Danach habe ich aber bei dem kleinsten Detail angefangen: Ich habe mit einem Flacheisen in der feinen Mitte der Schnecke begonnen und von dort aus die Wendel nach außen verfolgt. Zunächst hieß das, an dem aufgezeichneten Bleistiftstrich entlang eine kleine Spalte zu schlagen. Anschließend wurde nach außen hin immer mehr vom Stein abgetragen, so dass ein gleichmäßiges Gefälle entstand. Was man hier so schnell liest, war ein sehr langsamer Prozess, denn ich musste natürlich erstmal ein Gefühl für das neue ungewohnte Material entwickeln. Der Stein ist härter als Marmor und bricht auch anders. Und ich hatte zweimal das "Glück", dass beim Umrunden der kleinen Spitze diese auch mit abbrach. Dann fehlten in der Mitte wieder 2 mm Höhe und ich musste von dort aus wieder das Gefälle neu anpassen.
Ein sehr mühsames Vorgehen, man muss dabei nämlich so behutsam und langsam vorgehen, dass man nur winzige Mengen an Gestein abträgt. Da rieselt nichts, da staubt es nur. Eine gute Übung für die Geduld.
Als das endlich geschafft war, konnte ich beginnen, die gewendelte Fläche abzurunden. Jetzt sah es von oben betrachtet schon fast nach einem richtigen Schneckenhaus aus - und nicht mehr wie das steinerne Modell einer Rutschbahn.
Beim Anlegen der Gefällestrecke hatte ich außerdem zufällig entdeckt, dass ich eine interessante Oberflächenstruktur erzeugen konnte, wenn ich die Schläge mit dem Flacheisen immer parallel dicht nebeneinander setzte. Dadurch sah es einem Schneckenhaus noch ähnlicher, denn die hatten auch kleine Rillen.
Aber zunächst kam es natürlich auf die eigentliche Form an. Genau wie bei meinem ersten Stein war es immer wieder nötig, den Stein aus verschiedenen Blickwinkeln anzuschauen und die Krümmung zu überprüfen. Es zeigten sich nämlich immer wieder Buckel, die so gar nicht nach Schnecke aussahen.
Aber irgendwann war ich mit der oberen Hälfte meines Schneckenkönigs soweit zufrieden, dass ich mich der unteren Hälfte zuwenden konnte. Natürlich musste ich mir immer klarmachen, wie so eine Schneckenform in der ursprünglichen Steinsäule sitzt. Ich hatte ja, wie man auf dem ersten Bild sieht, ein Häuschen so auf einen Zahnstocher gespießt, dass man den Verlauf entlang einer senkrechten Achse gut sehen konnte. Diesen Verlauf habe ich dann in der Steinsäule nachverfolgt, um festzustellen, wo der Rand des Schneckenhauses unten auf den Boden der Steinsäule treffen würde. Dieser Bereich sollte ja erhalten bleiben, aber darum herum konnte ich erstmal einiges wegschlagen. Mit einem sogenannten Sprengeisen wurde der Teil der Unterseite, der nicht mehr benötigt wurde, in großen Brocken abgeschlagen. Es war regelrecht befreiend, nach Wochen voller Feinarbeit endlich wieder richtig grosse Veränderungen zu sehen - schön!
Damit habe ich zunächst die großen Buckel, die das Sprengeisen hinterlassen hatte abgeschlagen und mich in gewohnter Weise der Form angenähert. Das heißt, ich habe die Rundung des Schneckenhauses im unteren Bereich fortgesetzt und habe dann an der Stelle, an der die Wendel an der Seite der ehemaligen Steinsäule ankam, begonnen, eine Öffnung zu formen. (Kleine Randbemerkung: Es ist nicht gut, wenn man eine Kamera häufiger in staubiger Umgebung offen rumliegen lässt. Meine hat den Geist aufgegeben, und ich habe eine Weile gebraucht, um mir eine neue zu besorgen. Leider gibt es deshalb erst wieder Fotos vom fertigen Schneckenkönig)
Die Unterseite der Schnecke zu formen war aber noch mal äußerst reizvoll. Natürlich konnte ich den Stein jetzt nicht, wie bei einem echten Schneckenhaus, komplett aushöhlen. Aber ich habe die Öffnung zumindest angedeutet indem ich eine einigermaßen tiefe Mulde reingeschlagen habe. Dabei war es besonders wichtig, vom Rand aus zur massiven Mitte hin zu arbeiten, damit nicht versehentlich ein Stück von Rand abbricht. So sah übrigens mein Arbeitsplatz aus:
Das letzte, schöne Detail war das kleine Loch, das das Ende der imaginären Achse bildet. Dafür habe ich mich mit einem kleinen Rundeisen nach und nach sehr vorsichtig immer tiefer in den Stein hinein gegraben, bis ich das Eisen nicht mehr schräg genug halten konnte, um noch weiteres Material abzuschlagen. Natürlich hätte man das Loch auch mit der Maschine vorbohren können, aber das wäre mit der Befestigung problematisch geworden, ich hatte auch Angst, dass durch Abrutschen oder durch die Erschütterungen noch etwas kaputt gehen könnte. Und außerdem erschien es mir irgendwie herzlos.
Im letzten Arbeitsgang habe ich dann die Ränder der Öffnung noch mit einem Groben Schleifstein abgeschliffen. Einen Feinschliff habe ich mir gespart. Das geschliffene, glänzende Material sieht zwar sehr schön aus, aber es schien mir nicht passend zur Oberflächenstruktur meiner Schnecke. (Hier ein Foto von der polierten Oberfläche einer anderen Skulptur aus dem gleichen Material.)
Mein Schneckenkönig bekam also nur einen Grobschliff - prima, das ersparte mir diesmal viel Arbeit ;-) Abschließend habe ich mit feinem Sandpapier noch mal leicht über die geschlagene Oberflächenstruktur drüber geschliffen. Das veränderte zwar optisch nichts, aber die Oberfläche fühlte sich dadurch schöner und weicher an. Zu Hause habe ich den Stein noch mit einem speziellen Öl behandelt, dadurch wurde der Stein etwas dunkler und die Oberfläche geschützt.